Rechtsprechung zur Verkehrsunfallschadenabwicklung
1. Rechtsprechung des BGH zum Fahrzeugschaden

In der Regel wird der Fahrzeugschaden zunächst durch einen geeigneten Kfz-Sachverständigen ermittelt. Aufgrund des Sachverständigengutachtens wird der Schaden sodann gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners geltend gemacht. Hierbei lassen sich aufgrund der derzeitigen Rechtsprechung des BGH folgende Grundsätze aufstellen:

Definitionen:
Reparaturkosten (RK):

Reparaturkosten sind die Kosten, welche für die ordnungsgemäße Reparatur des unfallbedingt entstandenen Schadens erforderlich sind.

Wiederbeschaffungswert (WW):

Hierbei handelt es sich um den Preis, den der Geschädigte für einen wirtschaftlich gleichwertigen unbeschädigten Ersatzgegenstand bezahlen muß bzw. müßte. Der Wiederbeschaffungswert ist die Grundlage für die Wertbestimmung einer Sache.

Restwert:

Unter Restwert versteht man den Betrag, den der Geschädigte für sein unfallgeschädigtes Fahrzeug im unreparierten Zustand auf den ihm zugänglichen Markt durch Verkauf oder durch Inzahlunggabe noch realisieren kann.

Wiederbeschaffungsaufwand (WBA):

Unter dem Begriff Wiederbeschaffungsaufwand ist derjenige Betrag, den der Geschädigte benötigt, um sich nach Verkauf des beschädigten Fahrzeugs ein gleichwertiges Fahrzeug anzuschaffen. Der Wiederbeschaffungsaufwand ist damit die Differenz aus Wiederbeschaffungswert und Restwert.

Für die Abrechnung des Fahrzeugschadens gelten folgende Grundsätze:

Fallgruppe 1: Die Bruttoreparaturkosten liegen unter dem Wiederbeschaffungs-aufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert). In diesem Fall ist stets auf Reparturkostenbasis abzurechnen, da eine Ersatzbeschaffung unwirtschaftlich bzw. teurer wäre (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, VersR 1992, 64).

 

Fallgruppe 2: Die Bruttoreparaturkosten liegen zwischen Wiederbeschaffungs-aufwand und Wiederbeschaffungswert. In diesen Fällen liegen die seitens des Sachverständigen ermittelten Bruttoreparaturkosten zwar unterhalb des Wiederbeschaffungs-wertes, jedoch über dem Wiederbeschaffungsaufwand (Wieder-beschaffungswert abzüglich Restwert). Selbstverständlich ist der Geschädigte in diesen Fällen berechtigt, das Fahrzeug in einer Fachwerkstatt instandsetzen zu lassen und sodann eine Reparaturkostenrechnung vorzulegen. In diesem Fall besteht ein Anspruch des Geschädigten auf Erstattung der Bruttoreparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes, auch dann, wenn er das Fahrzeug unmittelbar im Anschluß an die Reparatur veräußert (vgl. BGH, Urteil vom 5.12.2006, Az. VI ZR 77/06).

 

Anders liegt der Fall, wenn der Geschädigte lediglich fiktiv abrechnet und das verunfallte Fahrzeug veräußert. "Läßt der Geschädigte sein unfallbeschädigtes Fahrzeug nicht reparieren, sondern realisiert er durch dessen Veräußerung den Restwert, ist sein Schaden in entsprechender Höhe (in Höhe des Restwertes) ausgeglichen. In diesem Fall kann der Geschädigte nicht die fiktiven Netto-reparaturkosten verlangen, vielmehr ist er auf den Wiederbeschaffungs-aufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 7.06.2005 Az: VI ZR 192/04).

In Fällen, in denen die Bruttoreparaturkosten zwar unterhalb des Wiederbeschaffungswertes, jedoch über dem Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) liegen, hat der Geschädigte weiter die Möglichkeit, das Fahrzeug ggf. durch eine Billigreparatur ohne Vorlage einer Reparaturkostenrechnung instandsetzen zu lassen. In diesem Fall kann der Geschädigte die vom Sachverständigen geschätzten Nettoreparaturkosten verlangen, wenn er ggf. das im Rahmen einer Billigreparatur instandgesetzte und verkehrssichere Fahrzeug für mindestens 6 Monate weiternutzt.

BGH:

"Der Geschädigte kann zum Ausgleich des Fahrzeugschadens die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ohne Abzug des Restwertes verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich repariert und weiternutzt. Die Qualität der Reparatur spielt jedenfalls so lange keine Rolle, als die geschätzten Bruttoreparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen (vgl. BGH, Urteil vom 29.4.2003, Az. VI ZR 393/02). Mit Urteil vom 23.5.2006 hat der BGH sodann entschieden, daß für den Fall, daß die Bruttoreparaturkosten unterhalb des Wieder-beschaffungswertes, jedoch über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegen, dann erstattungsfähig sind (im Nettobetrag), wenn der Geschädigte das Fahrzeug ggf. unrepariert mindestens 6 Monate nach dem Unfall weiternutzt. Für den Fall einer vorzeitigen Veräußerung ist er indes auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.2006, Az: VI ZR 192/05)

Fallgruppe 3:

Die Bruttoreparaturkosten liegen zwischen 100 und 130 % des Wieder-beschaffungswertes:

Liegen die vom Sachverständigen kalkulierten Bruttoreparaturkosten über dem Bruttowiederbeschaffungswert des Fahrzeugs, jedoch noch innerhalb einer Grenze bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, so können die angefallenen Reparaturkosten nur dann beansprucht werden, wenn die Reparatur fachgerecht und exakt in dem Umfang durchgeführt wurde, wie sie der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2005 Az: VI ZR 70/04 sowie Urteil vom 15.2.2005, Az. VI ZR 172/04). Auch in diesen Fällen ist es ferner erforderlich, daß der Geschädigte das Fahrzeug mindestens für einen Zeitraum von 6 Monaten weiternutzt (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2007, Az. VI ZR 89/07 sowie Urteil vom 27.11.2007, Az. VI ZR 56/07). Die 6-Monatsfrist gilt auch, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug auf Grundlage des Sachverständigengutachtens in einer Fachwerkstatt hat instandsetzen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 22.4.2008, Az. VI ZR 237/07). Werden diese Grundsätze in den Fällen, in denen die Reparaturkosten zwischen 100 % und 130 % des Wiederbeschaffungswertes liegen, nicht berücksichtigt, ist der Ersatzanspruch auf die Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 15.2.2005, Az. VI ZR 172/04 sowie Urteil vom 8.12.2009, Az. VI ZR 119/09). Es besteht keinAnspruchaufErstattungbiszur 130%Grenze,wenn die Reparaturkostennur aufgrundeiner Rabattgewährungder Werkstatt niedriger ausfallen, als vomSachverständigengeschätzt (vgl. BGH, Urteil vom 8.2.2011 (VI ZR 79/10).

Fallgruppe 4:

Die Bruttoreparaturkosten liegen über 130 % des Wiederbeschaffungswertes. In den Fällen, in denen die seitens des Sachverständigen kalkulierten Bruttoreparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30 % übersteigen, besteht regelmäßig nicht die Möglichkeit, auf Reparaturkostenbasis abzurechnen. In diesen Fällen ist die Instandsetzung regelmäßig als unwirtschaftlich anzusehen. Läßt der Geschädigte gleichwohl sein Fahrzeug reparieren, ist er auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 8.12.2009, Az. VI ZR 119/09). Dabei ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei der Integritätsspitze von 130 % nicht um eine starre Grenze, vielmehr um einen Richtwert handelt. Bei den Vergleichen zwischen Reparaturkosten und dem Wiederbeschaffungswert ist grundsätzlich auf die Bruttobeträge abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 3.3.2009, Az. VI ZR 100/08). Bei der Ermittlung der 130 %-Grenze hat der BGH zudem klargestellt, daß eine etwaig sachverständigerseits kalkulierte Wertminderung zu den Reparaturkosten hinzuzurechnen ist, d.h., ob eine Reparatur wirtschaftlich ist, beurteilt sich danach, ob die Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Wertminderung den Wiederbeschaffungswert um 130 % übersteigen (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90).

Mit Urteil vom 14.12.2010, VI ZR 231/09 hat der BGH entschieden, dass der Geschädigte, der sein Fahrzeug - auch unter Verwendung von gebrauchten Ersatzteilen - nach Vorgaben des Sachverständigengutachtens reparieren läßt, die Reparaturkosten, sofern sie unter dem Wiederbeschaffungswert liegen entgegen der über 130 % liegenden Prognose des Sachverständigen auch ohne Abzug des Restwertes verlangen kann.

Mit Urteil vom 8.02.2011, VI ZR 79/10 hat der BGH ferner entschieden, dass der Geschädigte, der sein Fahrzeug instand gesetzt hat, obwohl der Sachverständige die voraussichtlichen Reparaturkosten auf über 30% des WW geschätzt hat, nur dann die Reparaturkosten verlangen kann, wenn er nachweist, dass die Reparatur nicht wirtschaftlich unvernünftig war (Beurteilung durch Tatrichter - § 287 ZPO). Danach ist regelmäßig die Erstattung der Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert nicht gerechtfertigt, wenn der Geschädigte sein Kfz nicht vollständig und fachgerecht nach den Vorgaben des Sachverständigen instand setzt - zuletzt BGH, Urteil vom 15.11.2011 (VI ZR 30/11).

Wir hoffen, Ihnen mit dieser Kurzdarstellung einen Überblick verschafft zu haben. Die Darstellung beansprucht keine Vollständigkeit und unterliegt u.U. dem Wandel durch Rechtsprechungsänderungen, welche wir nach und nach zur Vervollständigung ergänzen werden. Selbstverständlich stehen wir Ihnen bei Detailfragen zur Schadensberechnung gerne zur Verfügung.

2. Stundenverrechnungssätze bei fiktiver Abrechnung nach der Rechtsprechung des BGH:

Über viele Jahre hinweg war die Frage der Erstattungsfähigkeit von Stundenverrechnungssätzen einer markengebundenen Fachwerkstatt umstritten. Teilweise erfolgte die Schadensregulierung aufgrund mittlerer Stundenver-rechnungssätze, teilweise nach ortsüblichen Stundenverrechnungssätzen.
Es stellt sich daher die Frage, ob der Geschädigte bei fiktiver Schadensabrechnung grundsätzlich Anspruch darauf hat, daß bei der Abrechnung des Schadens Stundenverrechnungssätze einer marken-gebundenen Fachwerkstatt zugrunde gelegt werden können bzw. ob der Geschädigte auf kostengünstigere Fachwerkstätten oder aber einen pauschalen mittleren oder vermeintlich ortsüblichen Stundenverrechnungssatz bei der fiktiven Schadensabrechnung akzeptieren muß. Wählt der Geschädigte den Weg der Reparatur des Fahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt und legt sodann eine entsprechende Reparaturkostenrechnung vor, stellt sich diese Frage nicht, da in diesem Fall selbstverständlich ein Anspruch auf Erstattung der vollen Reparaturkosten, somit auch ein Anspruch auf Erstattung der angefallenen Stundenverrechnungssätze besteht.

Erstmals im Porsche-Urteil hat der BGH im Jahr 2003 zu dieser Frage konkret Stellung genommen und entschieden, daß der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, der Schadenberechnung die Stunden-verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf. Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten in der Region repräsentieren nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag (vgl. Porsche-Urteil, BGH vom 29.4.2003, Az. VI ZR 398/02). In dem vorgenannten Urteil hat der BGH indes bereits ausgeführt, daß der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit habe, sich auf diese verweisen lassen müsse.
Dies führte wiederum zu zahlreichen Diskussionen in Literatur und Rechtsprechung. So hatte beispielsweise daraufhin das Amtsgericht Dortmund mit Urteil vom 7.6.2005, Az. 121 C 909/05, entschieden, daß der Geschädigte sich im Rahmen der fiktiven Abrechnung auf eine ihm mühelos und ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen müsse, wo hingegen beispielsweise das Amtsgericht Aachen mit Urteil vom 14.6.2005, Az. 5 C 81/05, entschieden hatte, daß der Geschädigte, der Reparaturkosten nach Gutachten abrechne, Anspruch auf Ersatz der Kosten für Karosserie- und Lackierungsarbeiten habe, die in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallen würden. Das Landgericht Heidelberg hatte mit Urteil vom 25.4.2006, Az. 2 S 55/05, entschieden, daß sich der Geschädigte bei fiktiver Schadenabrechnung durchaus auf eine kostengünstigere gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen müsse, dies unter Bezugnahme auf das vorgenannte Porsche-Urteil des BGH. Das Amtsgericht Rastatt hatte beispielsweise mit Urteil vom 7.1.2008, Az. 2 C 76/07, entschieden, daß bei fiktiver Schadensabrechnung die Stundenverrechnungssätze zugrunde zu legen seien, die in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallen, da diese den erforderlichen Reparaturaufwand darstellen würden.

Mit Urteil vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09, hat der BGH zunächst nochmals klargestellt, daß der Geschädigte im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen dürfe, die ein von ihm beauftragter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt habe. Allerdings müsse sich der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer "freien Fachwerkstatt" habe, sich auf diese verweisen lassen, wobei den Schädiger die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzung treffe. In diesem Zusammenhang hat der BGH sodann weiter entschieden, daß sich der Geschädigte dann nicht auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit verweisen lassen muß, wenn eine solche lediglich aufgrund von Sonderkonditionen, welche sich aus Vereinbarungen zwischen der gegnerischen Haftpflichtversicherung und der Fachwerkstatt ergeben, erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2010, Az: VI ZR 337/09)

Der BGH geht daher davon aus, daß eine Verweisung an eine kostengünstigere Fachwerkstatt, welche eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit bietet, vom Grundsatz her möglich ist.
Hiervon läßt der BGH jedoch wiederum Ausnahmen zu, zum einen bei Fahrzeugen bis zum Alter von 3 Jahren. Hier hält der BGH eine Verweisung auf Stundenverrechnungssätze einer nicht marken-gebundenen Fachwerkstatt in der Regel für unzumutbar.
Eine weitere Ausnahme gilt bei sogenannten scheckheftgepflegten Fahrzeugen, auch dann, wenn diese älter als 3 Jahre sind. In diesem Fall hält der BGH eine Verweisung auf eine kostengünstigere freie Fachwerkstatt für unzulässig. Voraussetzung ist jedoch, daß das Fahrzeug bislang ausschließlich in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet und ggf. auch zuvor dort bereits repariert wurde. Dies muß der Geschädigte im Rahmen der ihn treffenden sekundären Darlegungslast belegen. In diesem Zusammenhang ist ein Scheckheft in der Regel ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2010, Az: VI ZR 302/08).

Gleichwohl ist die Gesamtproblematik hiermit nicht geklärt, da zum einen unklar ist, ob die Werkstatt, auf welche der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung verweist, tatsächlich eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit bietet, zum anderen, ob die Werkstätten, auf die verwiesen wird, auch tatsächlich zu den seitens des Versicherers angegebenen Konditionen arbeiten. Weiter ist unklar, wie sich das Entstehen etwaiger Transportkosten zu der Werstatt, welche kostengünstiger arbeitet, auswirkt.

Wir hoffen, Ihnen auch bezüglich dieses Problemkreises einen Überblick verschafft zu haben. Für ergänzende Fragen steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Jochen Marci gerne zur Verfügung.